Wollen Sie sich gerne einmal schockieren lassen? Dann lesen Sie getrost diese Erkenntnis einer Marktanalyse, die man vor Kurzem in Deutschland durchgeführt hat: «Jedes Jahr beträgt die Floprate sämtlicher in Deutschland neueingeführten Produkte zwischen 60 und 70 %. Alleine bei den Fast Moving Consumer Goods (FMCG) werden pro Jahr 30‘000 neue Produkte am Markt platziert. Von diesen überleben rund 21‘000 keine 365 Tage.» Bedeutet das folglich, dass Produktinnovationen nichts anderes als gigantische Wertvernichtungs-Massnahmen sind? Es scheint fast so.
In ihrem 2013 erschienen Buch «Warum Produkte floppen» gehen die Autoren Tina Müller und Hans-Willi Schroiff den Ursachen dieses Dilemmas auf den Grund. Dabei identifizieren sie zehn Todsünden des Marketings, die es unbedingt zu vermeiden gilt. Wir fassen die Kernaussagen für Sie zusammen.
Doch was sind Todsünden überhaupt? Und kann man ihnen entgehen?
In der Theologie werden Todsünden generell als besonders schwerwiegende Sünden verstanden. Nur durch Reue und Abkehr entgeht man noch knapp der ewigen Verdammnis. Ebenso ist es mit den im Folgenden beschriebenen Marketing-Todsünden: Wendet man sich nicht von ihnen ab, droht erst das Fegefeuer und dann der Höllenschlund: Spätestens beim nächsten Gespräch mit der Geschäftsleitung oder dem Unternehmens-Controlling. Erkenntnis ist wie so oft auch hier der erste Weg zur Besserung.
Die erste Todsünde:
Das Fehlen eines einzigartigen und relevanten Marken- und Produktkonzeptes.
Wer bereits bei der Marken- und Produktidee keine Differenzierung zum Wettbewerb vornimmt und seine Idee überdies keinerlei Relevanz aufweist, der scheitert. Die Konzeptentwicklung ist daher Kernaufgabe in der Anfangsphase des Innovationsprozesses. Anhand des Konzepts lässt sich das tatsächliche Geschäftspotenzial einer Idee einschätzen.
Die zweite Todsünde:
Fehlende Konsumentenorientierung.
Unternehmen, die Produkte streuen, ohne Wissen über ihre Märkte, die eigene Positionierung und die relevanten Zielgruppen zu besitzen, bleiben erfolglos. Gegensteuern kann man diesem Fehltritt mit einer vom Konzept geleiteten Wissensakquise. Wer sich fortlaufend informiert, wie sich Veränderungen auf Seite der Zielgruppen entwickeln, wer Bedürfnisse erforscht und Marketing als steuernde Funktion innerhalb seines Unternehmens versteht, der hat das Fegefeuer nicht zu fürchten.
Die dritte Todsünde:
Verzicht auf Konsumenten-Feedback durch Crowdsourcing und Co-Kreation.
Viele Unternehmen meinen zu wissen, was ihre Zielgruppen wollen, statt tatsächlich zu wissen, was sie wollen. Brisant wird das gerade, wenn beispielsweise ein weltweit angelegter Innovationsprozess im stillen Kämmerlein einer Marketing-Abteilung bearbeitet wird. Hier kann ein Zielgruppen-Feedback mittels Crowdsourcing wertvolle Erkenntnisse liefern. Diese Chance wird allerdings noch viel zu selten genutzt.
Die vierte Todsünde:
Verzicht auf empirische Überprüfung von Ideen und Konzepten.
Gerade bei komplizierten Innovationsideen passiert es immer wieder: Führungsverantwortliche segnen Konzepte aus einem reinen Bauchgefühlen heraus ab. Oft ohne die dringend nötige Analyse, sondern mit dem Wunsch, rasche Entscheidungskraft und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen. Der richtige Weg: Konzepte final ausschliesslich vor dem Hintergrund von Benchmarks fixieren und in intensiver Auseinandersetzung mit den Konsumentenbedürfnissen vor Abschluss auf Herz und Nieren prüfen. Soviel Zeit muss sein.
Die fünfte Todsünde:
Unklare Markenpositionierung.
Immer wieder wird «Marke» missverstanden. Nämlich nicht als psychologisches Trägersystem, sondern lediglich als schmuckes Beiwerk zum Produkt. Ein fataler Fehlansatz. Der Begriff «Markenartikel» beinhaltet doch gerade, dass Marke und Produkt untrennbar Hand in Hand gehen. Daher gilt: Damit Marken stark und langfristig tragend sind, müssen vorab klare Antworten auf diese Frage gegeben werden können: Welchen funktionalen, emotionalen und selbst-expressiven Nutzen hat meine Marke? Wenn ich dies weiss, kann ich eine punktgenaue Positionierung vornehmen.
Die sechste Todsünde:
Keine Konsistenz zwischen Markenpositionierung und Produktkonzept.
Selbst wenn eine Marke klar definiert und differenziert daher kommt, ist das kein Garant für Erfolg. Wenn das Produkt, welches unter dieser Marke auf den Markt gebracht wird, funktional und emotional nicht mit der Marke übereinstimmt, wird es umgehend wieder vom Markt verschwinden. Daher: Unbedingt auf die Passgenauigkeit von Innovation und Markendach achten!
Die siebte Todsünde:
Fehlende Logik zwischen Produkt-Gestaltung und Marke.
Stellen Sie sich vor, Sie erwerben eine Zahnpaste. Sie haben die Absicht, mit dem gewählten Produkt Ihre Zähne zu pflegen und auch den Grundton der Zahnfarbe etwas aufzuhellen. Sie öffnen die Tube und was kommt heraus? Ein betonartiges Gel in grauem Farbton. Denken Sie nicht auch: Sie werden das Produkt umgehend entsorgen, da Ihre Erwartung an das Markenversprechen «Gesunde und strahlend weisse Zähne» so gar nicht zur Optik des Produktes passen?
Die achte Todsünde:
Unrealistische (Finanz-)Planung.
Immer wieder verschwinden Produkte aus den Regalen, da sie die vorab verordneten Finanzziele nicht erreicht haben. Oft liegt der Fehler nicht am Produkt, sondern daran, dass vor der Neueinführung die tatsächlichen Absatzchancen nicht realistisch geprüft wurden. Ignorieren Sie folglich mögliche Risiken nicht, seien Sie sich bewusst, dass immer auch Ungewissheit bei der Planung dazu gehört und bemühen Sie sich um eine realistische Einschätzung der Produktpotenziale.
Die neunte Todsünde:
Fehlende Kontrolle bei der Einführung und falsche Korrekturmassnahmen.
Ein häufiger Trugschluss, der Produkten das Genick bricht, ist, qualifizierte Planung mit Risiko-Management zu verwechseln. Planen, Einführen und dann das Produkt sich selbst überlassen ist ein Unding, das dennoch fortbesteht. Konsequentes Launch-Monitoring und Stop-Go-Entscheidungen sind daher unbedingt nötig. Denn nur wer am Ball bleibt erkennt schnell, wie eine Produkteinführung verläuft und kann im Notfall zielgerichtet und konsequent gegensteuern.
Die zehnte Todsünde:
Keine Organisationshygiene und politisches Powerplay.
Markenführung als Ergebnis pseudodemokratischer Entscheidungen ist selbst bei gut aufgestellten Produkten oft der Anfang von Ende. Die Kontrolle von Marktforschungsergebnissen im Innovationsprozess ist in der Verantwortung des Chief Marketing Officers und des Marktforschungsleiters – und sonst nirgends.
Das Buch:
Tina Müller & Hans-Willi Schroiff: Warum Produkte floppen – Die 10 Todsünden des Marketing, Haufe Gruppe, Freiburg/München, 1. Aufl. 2013
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