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Wie Marken zu guten Marken werden

04.12.2020 | 6 min Lesezeit | Autor: Nicola Lutz

Die Ursprünge des Brandings reichen bis in die Antike zurück. Damals wurden Sklaven und später auch Verbrecher für ewig gebrandmarkt. Später kamen die klassischen Brandzeichen hinzu, die vor allem in der Tierhaltung bei Pferden und Rindern eingesetzt wurden, um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Eigentümer zu kennzeichnen. Heutzutage brennen sich Marken zum Glück nicht mehr für ewig unter die Haut ein (das Thema Tattoo lasse ich hier mal aussen vor…). Sie bedürfen dafür im Gegenzug eine konstante Pflege und Schärfung, um im Bewusstsein des Konsumenten präsent zu bleiben. Ein weiterer Unterschied zu früher ist, dass wir viele unserer favorisierten Brands heute freiwillig mit uns herumtragen. Sei es am Körper, im Ohr, am Handgelenk oder in der Hosentasche…

Idealerweise bauen wir zu ihnen auch eine emotionale, vielleicht sogar leidenschaftliche Beziehung auf. Nur wenn eine kritische Anzahl von Menschen ein ähnliches Bild im Kopf hat, ähnliche Leistungen und Emotionen damit verbindet und ähnliche Geschichten darüber weitererzählt, ist aus einem blossen Namen eine Marke geworden. Um diesen Prozess erfolgreich zu begleiten, benötigt es eine Vielfalt an Massnahmen und Bausteinen. Die Story der Marke ist jedoch ein ziemlich zentraler Aspekt, auf den ich deshalb in der Folge gerne noch genauer eingehen möchte.

Wir konstruieren uns die Welt, in der wir leben – indem wir uns erzählen, wie sie ist. Früher geschah das am Lagerfeuer, dann am Stammtisch hockend, später ums Radio versammelt und bis vor kurzem schliesslich vereint auf dem Sofa vor der Glotze, haben Menschen sich Geschichten erzählt und erzählen lassen, die ihr Weltbild prägten und ihnen Zuversicht und Sicherheit gaben. Und heute? Auf Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube? Im Grunde genommen ist vieles gleich geblieben, lediglich die medialen Möglichkeiten sind mehr und anders geworden und verändern sich immer schneller. Aber die Geschichten, die wir uns erzählen, sind geblieben.

Was macht gute Geschichten aus?
Denn Geschichten sind anschaulich und nahbar, nackte Fakten hingegen sind es nicht. Mit Geschichten ordnen wir Dinge für uns ein und stellen sie in einen Zusammenhang, den wir verstehen können. Sie erreichen uns leichter, denn der Bauch redet mit, wenn wir uns für oder gegen etwas entscheiden. So entscheiden wir nicht nur Unwichtiges, sondern auch Wichtiges oft emotional – angeleitet von Geschichten, die uns fesseln, die gerade in der Wahrnehmung präsent sind. Manchmal sind wir uns dessen bewusst, oft aber auch ganz und gar nicht. Weil es oft Geschichten sind, die unser Handeln und Entscheiden leiten, sind gute Marken aus guten Geschichten gebaut. Sie helfen uns dabei, nicht immer ganz vernünftige, also ganz normale Kaufentscheidungen richtig zu treffen. Warum z.B. habe ich mir gestern gerade die doch relativ teuren On Cloud X Schuhe im Online Shop eingekauft und nicht die günstigeren Nike oder Adidas? Läuft nicht auch Roger Federer in seiner Freizeit mit On herum (und ist sogar Teilhaber am Unternehmen)? Und überhaupt, ist On doch eine coole, aufstrebende Schweizer Firma, die zudem noch das Laufgefühl revolutioniert hat.

Doch was ist, wenn die Geschichten, die wir mit unseren Marken erzählen, so langweilig sind, dass keiner hinhört? Was, wenn neben uns hundert andere die fast identische Geschichte erzählen und das dann womöglich noch besser als wir? Wenn unsere eigenen Geschichten nicht glaubwürdig sind, weil ihnen die Verbindung mit dem Kern, mit dem einzigartigen Versprechen der Marke fehlt? Wenn es das Alleinstellungsmerkmal gar nicht gibt, das wir gerne hätten? Wenn wir me-too, also austauschbar sind? Wenn wir schlicht nicht halten können, was wir versprechen? Für gute Geschichten muss zuerst etwas erlebt und etwas getan worden sein.

Und wo finden wir diese Geschichten?
Geschichten können wir als Unternehmen, als Marke aber nicht einfach in Auftrag geben wie die Konzeption einer Werbekampagne. Geschichten, die Markenidentität konstruieren, müssen von den Kommunikationsverantwortlichen gesucht, entdeckt und dann möglichst gut weitererzählt werden. Deshalb ist es wichtig, dass ein modernes Unternehmen seine Strukturen und Prozesse in der Kommunikation so organisiert, dass es passende «Stories» in und um die Organisation überhaupt finden und dann spannend aufbereiten und verbreiten kann.

Geschichten, die unsere Marke betreffen, können auch ausserhalb des Unternehmens geschehen und wachsen. Manchmal sind es solche die wir mögen, aber vielleicht auch ab und zu solche, die uns gar nicht behagen. Das ist das Risiko für eine Marke, die authentisch und echt sein möchte. Eine einzige Geschichte kann den Aktienkurs einbrechen lassen. Das musste z.B. 2013 Abercrombie & Fitch erfahren, als der CEO verlauten liess: «Wir wollen an coole, gutaussehende Menschen verkaufen – und an keine anderen.» Eine Geschichte, die sich rasend schnell verbreitete und zuerst Markenwert und bald auch Aktienwert vernichtete.


https://www.sueddeutsche.de/stil/abercrombie-fitch-dicke-maedchen-unerwuenscht-1.1669393, Foto: AFP

Oder Elon Musk, der schon mehrfach mit Tweets den Aktienkurs von Tesla zum Abstürzen gebracht hat. Ob das der Marke Tesla schlussendlich geschadet hat – oder sogar im Gegenteil – auf lange Sicht gesehen einen Mehrwert kreiert hat, ist eine berechtigte und nicht ganz einfach zu beantwortende Frage…


Wie wäre es mit der Entstehungsgeschichte?
Einzelne Geschichten können auch ganz nah beim Kern der Marke sein. Ein guter Gründungsmythos zum Beispiel. So gibt es da die Geschichte von Apple, die Steve Jobs in diesen Worten erzählte: «Wir waren damals mit der Anmeldung unseres Unternehmensnamens drei Monate im Verzug, und ich drohte, das Unternehmen ‚Apple Computer‘ zu nennen, falls bis fünf Uhr niemandem ein interessanterer Name einfällt. Ich hoffte, so die Kreativität anzuheizen. Ich praktizierte damals eine meiner Obstdiäten. Ich war gerade von der Apfelplantage zurückgekehrt. Der Name klang freundlich, schwungvoll und nicht einschüchternd. Apple nahm dem Begriff Computer die Schärfe. Zudem würden wir künftig vor Atari im Telefonbuch stehen.» Ein guter Gründungsmythos – sei er auch noch so kurz – kann schon erstaunlich viel über ein Unternehmen erzählen.

Ein anderes anschauliches Beispiel aus der Schweiz ist die Marke «Freitag», die zu Beginn der 1990er Jahre von den beiden Brüdern Freitag in Zürich geschaffen wurde. Die beiden Grafiker wollten, so erzählen sie, einen wasserdichten Messenger Bag konstruieren. Aus dem Fenster ihrer Wohnung sahen sie auf die Hauptverkehrsader, die damals mitten durch Zürich lief, und sie kamen so auf die Idee, farbig bedruckte, ausgediente Lastwagenblachen zu verwenden, um Taschen daraus zu bauen. Und so ist ein inzwischen weltbekannter Klassiker entstanden. Gerade der Gründungsmythos hatte damals den Nerv der Zeit gut getroffen, und die Marke Freitag hat damit für sehr viele Menschen ein starkes Identifikationsangebot gemacht. Die kluge Verbindung einer Recycling-Idee mit dem Traum von Individualität der paradoxerweise genauso sehr gewünschten Uniformität: jede Tasche ist ein Unikat und doch sind sie alle gleich. Das war schon das Erfolgsprinzip der Blue Jeans.
(Der erste Messenger Bag von Freitag)

Eine gute Geschichte bleibt
Marken gestalten also ihre Interaktion mit den Zielgruppen als Geschichten, ganz ähnlich wie Menschen übrigens auch. Geschichten machen Vergangenes, wie z.B. die Gründung eines Unternehmens oder auch Abstraktes, sozial fassbar und sie machen auch Hoffnung auf weitere Geschichten. So bemerkte zum Beispiel auch Gieri Spescha, der Markenverantwortliche der Regionenmarke «Graubünden», anlässlich eines Markentages: «Marken machen Geschichten, wenn Geschichten Marken machen.»

Nichts zieht Menschen so sehr in den Bann wie eine gute Geschichte. Und nichts bleibt Menschen so gut in Erinnerung.
Erzählen Sie deshalb die Geschichte Ihrer Marke und erobern Sie dadurch die Herzen Ihrer Kunden. Damit auch aus Ihrer Marke eine gute Marke wird.
Eine, die in Erinnerung bleibt.

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Nicola Lutz ist ein ausgewiesener Markenexperte und hat in diversen Agenturen (u.a. Interbrand, evoq) aber auch auf Kundenseite unterschiedlichste Branding Projekte geleitet und inhaltlich betreut. Bei Kernbrand betreut er Kunden aus diversen Branchen und leitet das Beratungsteam. Mehr Artikel von diesem Autor